Absturz eines amerikanischen Bombers in Wiederstein :

Quelle : Ausarbeitung von Oliver Greifendorf, Koblenz - Stand: 30. Oktober 2017

Der Absturz einer B-17 Flying Fortress mit dem Spitznamen Lucy am 30. November 1944 in den nördlichen Ausläufern des Westerwaldes bei Wiederstein / Neunkirchen

(Quelle: Nachlass von Jarvis D. Williams, zur Verfügung gestellt von Tom Ryczek)


Die B-17G-35-DL mit der Werk-Nr. und Kennung „42-107014 FO-K“ sowie dem (Spitz-) Namen Lucy, die der 527. BS der 379. BG angehörte.

 

 

Abkürzungsverzeichnis :


BD Bombardment Division (Bomberdivision)


BG Bombardment Group (Bombergruppe)


BS Bombardment Squadron (Bomberstaffel)


CW Combat Wing (Kampfgeschwader - Gliederungsform zwischen BG und BD)


FC Fighter Command (Jägerkommando)


FG Fighter Group (Jagdgruppe)


F.O. Field Order (Einsatzbefehl)


FS Fighter Squadron (Jagdstaffel)


JG Jagdgeschwader (deutsche Luftwaffe)


USAAF United States Army Air Force (Bezeichnung für eine amerikanische Luftflotte
während des Zweiten Weltkrieges)

 

 

Die amerikanischen Angriffsplanungen gegen eine Reihe von Industrie- und Verkehrszielen in Deutschland für den 30. November 1944 …


Für die Bomberbesatzungen der seit 1942 in Großbritannien stationierten 8. USAAF waren an diesem Tag mehrere Einrichtungen der mineralölverarbeitenden Industrie im östlichen Teil Deutschlands sowie zwei Eisenbahnanlagen in Westdeutschland als Primärziel in ihren Einsatzunterlagen verzeichnet. Das Aufgebot umfasste neben 1.281 viermotorigen Bombern der Typen B-17 Flying Fortress und B-24 Liberator von allen drei Bombardment Divisions dieser Luftflotte auch 972 einmotorige Jäger der Typen P-47 Thunderbolt und P-51 Mustang des unterstellten VIII. FC, die als Begleitschutz für die Viermotorigen eingeteilt waren, wobei diese Jägerstreitmacht noch von 116 Jägern der Typen P-38 Lightning und P-51 Mustang von der überwiegend in Frankreich sowie in Belgien bzw. Luxemburg beheimateten 9. USAAF unterstützt wurde.
Der Angriffsschwerpunkt sollte hierbei für die 1. und die 3. BD - diese beiden Bombardment Divisions flogen Maschinen des Typs B-17 - auf der Bombardierung von mehreren Industrieeinrichtungen im Bereich der besonders kriegswichtigen treibstoff-erzeugenden Industrie im Raum Erfurt - Leipzig - Dessau - Halle liegen, wobei die 990 aufgebotenen Viermotorigen hauptsächlich die dort ansässigen Hydrierwerke Böhlen, Zeitz, Lützkendorf, Leuna und Merseburg treffen sollten, während der mit Bombern des Typs B-24 ausgestatteten 2. BD mit 291 Maschinen die Zerstörung von Verkehrszielen in Gestalt von zwei Eisenbahnanlagen im Saarland (Verschiebebahnhöfe Homburg und Neunkirchen) oblag. (1,2)

 

… und der tatsächliche Einsatzverlauf für die Besatzungen der 8. USAAF.


Gegen 11:30 Uhr überquerten die ersten Formationen von amerikanischen Bombern und Jägern die deutsche Grenze zwischen Aachen und St. Vith (Belgien), ehe sich die Maschinen der 2. BD von dem Hauptverband lösten und einen südlichen Kurs in Richtung des Saarlandes einschlugen. Die Flugzeuge der 1. und 3. BD fächerten sich in breiter Front auf und flogen zunächst über Koblenz und Frankfurt/Main bis in den Raum Chemnitz, ehe sie dort auf einer nord-westlichen Flugroute ihre Ziele im Raum Halle - Leipzig - Merseburg ansteuerten. Zwischen 13:16 Uhr und 13:58 Uhr wurden die ausgewählten Primärziele wie folgt bombardiert: (1,2)

 

- Hydrierwerk Böhlen (südlich von Leipzig) 68 B-17 der 1. BD 166,3 Tonnen Bomben


-  Hydrierwerk Zeitz (südlich von Leipzig) 132 B-17 der 1. BD 320,4 Tonnen Bomben


-  Hydrierwerk Leuna (westlich von Leipzig) 301 B-17 der 3. BD 726,1 Tonnen Bomben


-  Hydrierwerk Lützkendorf (westlich von Leipzig) 169 B-17 der 3. BD 413,1 Tonnen Bomben


Weitere Bombenabwürfe auf die vorgenannten Hydrierwerke als Sekundär- bzw. als Gelegenheitsziel fanden wie folgt statt:1
-  Hydrierwerk Leuna (westlich von Leipzig) 116 B-17 der 1. BD 289,8 Tonnen Bomben
-  Hydrierwerk Zeitz (südlich von Leipzig) 19 B-17 der 3. BD 47,2 Tonnen Bomben


Darüber hinaus gingen viele der hauptsächlich von Maschinen der 1. BD abgeworfenen Bomben über einer ganzen Reihe von Gelegenheitszielen nieder, wie z.B. auf Gotha, Rudolstadt, Gera, Ohrdruf, Fulda, Saalfeld und Meerane. (1)
Aufgrund der über etlichen deutschen Jägerflugplätzen vorherrschenden schlechten Wetterbedingungen trafen die amerikanischen Formationen an diesem Tag auf nur schwachen Widerstand der deutschen Jagdwaffe, der einzig aus Teilen des JG 300 bestand.

3 Von den insgesamt gestarteten 56 Jägern hatten nur 35 Feindberührung, indem diese - noch ehe sie an die Viermotorigen herankamen - von deren Begleitjägern gestellt wurden. Somit machten die deutschen Flugzeugführer lediglich den Abschuss von zwei Begleitjägern des Typs P-51 geltend, erlitten selbst jedoch deutlich höhere Verluste. Blieben die US-Bomber bei diesem Einsatz von den Jägern der Luftwaffe verschont, so fielen doch eine ganze Reihe von ihnen der deutschen Flak zum Opfer, die immerhin 15 sichere Abschüsse für sich beanspruchte.

 

Die offiziellen (Bomber-) Gesamtverluste der 8. USAAF für den 30. November 1944 stellen sich wie folgt dar:
- Bomberverluste im Einsatz 28 B-17 und 1 B-24 (davon 1. BD 11 / 3. BD 17 und 2. BD 01)
- Bomberverluste Cat.E4 10 B-17 und 2 B-24 (davon 1. BD 04 / 3. BD 06 und 2. BD 02)


Zusätzlich gingen drei Begleitjäger im Einsatz verloren, während zwei weitere als Cat. E zur Aussonderung gelangten. Den größten Einzelverlust an Bombern musste bei der 3. BD die 390. BG mit sieben B-17 und bei der 1. BD die 379. BG5 mit sechs B-17 hinnehmen. (1,6)


Der Einsatzverlauf für die 379. BG …

 

Für den 30. November 1944 war der im Verband des 41. CW der 1. BD fliegenden 379. BG die Bombardierung des Hydrierwerkes Zeitz als Primärziel aufgetragen worden, neben der 41. CW hatte auch die 1. CW dieses Primärziel in ihren Zielunterlagen verzeichnet.

(Quelle: US Army Air Force / National Archives via Fold3)
Das Hydrierwerk Zeitz vor den zahlreichen Bombardierungen durch alliierte Flugzeuge.

 

Zu diesem Zweck bot die Gruppe insgesamt 36 B-17 auf, die auch allesamt nach dem Start in Kimbolton, der zwischen 9:40 Uhr und 10:07 Uhr erfolgte, sowie nach der Formationsbildung, die ab 10:25 Uhr im Luftraum über Kimbolton (Gruppe) und hiernach anschließend über Colchester (Combat Wing) stattfand, zum Feindflug nach Deutschland antraten, wobei je zwölf Maschinen die lead-, die low- und die high-Squadron der C-Group des 41. CW bildeten.8 Den Begleitschutz für die C-Group stellte bei dieser Mission die 359. FG des VIII. FC mit ihren Jägern des Typs P-51 bereit.
Die Besatzungen der 379. BG wurden bei diesem Einsatz von Lieutenant Colonel Lloyd C. Mason geführt, der zugleich auch an der Spitze der lead-Squadron der C-Group stand. Nach der A-Group (303. BG) und der B-Group (384. BG) an dritter Stelle des 41. CW fliegend, führte die Flugroute der Formation bei guten Wetterverhältnissen9 um 11:06 Uhr an Felixstowe vorbei über die Nordsee und bei Ostende das europäische Festland erreichend (11:29 Uhr) weiter über Belgien und die Eifel, südlich von Koblenz den Rhein überquerend und nördlich an Frankfurt/Main vorbei, ehe gegen 13:30 Uhr schließlich das Ziel vor den Augen der ersten Bomberpiloten der 379. BG auftauchte. (10)

(Quelle: Headquarters 379th Bombardment Group - Office of the Intelligence Officer - Report on Mission of 30th November 1944)


Flugroute der C-Group des 41. CW am 30. November 1944.

 

Die dort angetroffenen Wetterbedingungen bestanden aus einem grundsätzlich klaren Himmel, der allerdings von einer leichten Dunstschicht sowie von zahlreichen Kondensstreifen der vorhergehenden Bomberverbände durchzogen war, was eine gute (Boden-) Sicht teilweise erschwerte. Insgesamt 714 Sprengbomben General Purpose (GP) AN M-57 zu je 250 lbs. (112 Kilogramm) wurden von den 36 Maschinen der 379. BG über dem Primärziel abgeworfen: (8)


- high-Squadron / 13:31 Uhr / aus 24.700 Fuß Höhe (ca. 7.530 Meter) / nach (Boden-) Sicht
- low-Squadron / 13:33 Uhr / aus 21.900 Fuß Höhe (ca. 6.675 Meter) / nach (Boden-) Sicht
- lead-Squadron / 13:50 Uhr / aus 24.000 Fuß Höhe (ca. 7.315 Meter) / nach (Boden-) Sicht / Bombenabwurf erst im zweiten Zielanflug


Der Bombenabwurf der C-Group nach (Boden-) Sicht wurde von dem über dem Ziel vorhandenen dichten Rauchschirm zuzüglich der Explosionswolken der wenige Minuten vorher bereits durch die A- und die B-Group des 41. CW abgeworfenen Bomben stark behindert. Die Ergebnisse der Abwürfe wurden auf der Grundlage der unmittelbar nach Abwurf aufgenommenen Luftbilder wie folgt bewertet: (8)


- high-Squadron / Die Bomben wurden ungefähr 3,5 Meilen (ca. 5,6 Kilometer) östlich des vorgegebenen MPI11 abgeworfen und gingen über eine Eisenbahnstrecke hinweg in einem kleinen Dorf nieder.
- low-Squadron / Die Ergebnisse blieben unbeobachtet, da keine Luftbilder von der Squadron zur Verfügung gestellt werden konnten.

- lead-Squadron / ordentliches Ergebnis / Die Bomben landeten in einem guten Muster etwa 3.000 Fuß (ca. 914 Meter) nord-westlich des vorgegebenen MPI.

(Quelle: Headquarters 379th Bombardment Group - Office of the Intelligence Officer - Report on Mission of 30th November 1944)


Gliederung der C-Group des 41. CW am 30. November 1944.

 

Das mit Abstand größte Problem an diesem Tag für die Bomberbesatzungen der 379. BG - und hier insbesondere für die Crews der low-Squadron - stellte jedoch das deutsche Abwehrfeuer im Zielgebiet in Gestalt eines überaus heftigen Flakbeschusses dar. Sahen sie sich während ihres Fluges bei Frankfurt/Main, Merzhausen und Jena lediglich mit mäßigem und ungenauem Flakbeschuss konfrontiert, so änderte sich dies im Bereich der stark geschützten kriegswichtigen Hydrierwerke und Raffinerieanlagen im Großraum Leipzig mit den dort vorhandenen zahlreichen Flakstellungen. Das bodengebundene Abwehrfeuer und dessen Folgen werden wie folgt beschrieben: (8)
„Das Flugabwehrfeuer über Zeitz war intensiv, schwarz und genau für unsere low-Squadron. In der Nachbarschaft von Merseburg erhielt insbesondere unser low-Squadron mäßiges aber genaues Flakfeuer … Bei dem Flugabwehrfeuer über Zeitz handelte es sich um geleitetes Feuer … Dadurch bedingt, dass unsere low-Squadron über dem Ziel zerstreut wurde, weil sowohl der Führer als auch der stellvertretende Führer über dem Ziel schwer von der Flak getroffen wurden, liegen im Hinblick auf die vier Flugzeuge, zu deren Schicksal nichts bekannt ist, keine weiteren Berichte vor.“

 

Lediglich zu zwei der sechs Totalverluste der 379. BG liegen Augenzeugenberichte über deren weiteres Schicksal nach Erhalt von Flaktreffern im Bereich des Zielgebietes vor, die übrigen vier Maschinen, zu denen keine konkreten Beobachtungen von anderen Besatzungen vorhanden sind, gehörten allesamt der schwer getroffenen low-Squadron an. Zwar berichteten die heimgekehrten Besatzungen der low-Squadron von einigen im Zielgebiet getroffenen B-17, für insgesamt vier Maschinen war jedoch keine gesicherte Identifizierung bzw. Zuordnung möglich. An dem auf den Einsatz des 30. November 1944 folgenden Tag wurde bei der 379. BG erörtert, was mit den vorgenannten vier Bombern wohl passiert sein könnte: (12)
„… Während der Diskussion berichteten zwei Besatzungsmitglieder aus unterschiedlichen Maschinen von einer Art von Flakbeschuss der unterhalb der Formation zu bleiben schien und der kleine weiße Explosionswolken mit einem zerrissenen Effekt produzierte. Als einige ältere Piloten, die bei dem Einsatz jedoch nicht dabei waren, davon hörten, meinten sie, dass die zwei Besatzungsmitglieder die feurigen Explosionswolken von Geschossen aus Maschinengewehren oder leichten Kanonen beschreiben würden. Gleichwohl versicherten die Besatzungen mehrfach, dass sie zu keinem Zeitpunkt des Einsatzes feindliche Flugzeuge gesehen haben … Ein Punkt der hierbei berücksichtigt werden muss ist das die low-Squadron auf 21.900 Fuß (ca. 6.675 Meter) hinunter ging, um ihre Bomben abzuwerfen, dadurch bedingt dass der Führer13 getroffen wurde und Höhe verlor mit dem Ergebnis, dass die Formation am Anfang nicht realisierte, was ihm passiert war und ihm für eine Zeit nach unten folgte.“
Demzufolge hatte die low-Squadron die mit Abstand höchsten Verluste der C-Group zu tragen, die sich insgesamt wie folgt zusammensetzten: (14)
- high-Squadron / kein Totalverlust / eine schwer beschädigte Maschine
- low-Squadron / fünf Totalverluste / vier schwer und zwei leicht beschädigte Maschinen
-  lead-Squadron / ein Totalverlust / sechs schwer und fünf leicht beschädigte Maschinen

 

…. und für die Puckett-Crew von der 527. BS der 379. BG.


Bei einer der vier im Bereich der low-Squadron ohne nähere Hinweise auf ihr weiteres Schicksal in Verlust geratenen Maschinen handelte es sich um die B-17G-35-DL mit der Werk-Nr. und Kennung „42-107014 FO-K“ (15) sowie dem (Spitz-) Namen Lucy, die der 527. BS der 379. BG angehörte. Am 30. November 1944 befanden sich folgende neun Besatzungsmitglieder (16) an Bord des Bombers: (17,18,19)


- 1st Lieutenant Robert D. Puckett (Pilot und Kommandant)
Personalnummer O-757 277

 

- 2nd Lieutenant Donald M. Childes (Co-Pilot)
Personalnummer O-822 379


-  2nd Lieutenant Charles J. Ingraham Jr. (Navigator)
Personalnummer O-718 319


-  2nd Lieutenant George E. Reedy (Bombenschütze)
Personalnummer O-925 744


-  Technical Sergeant Roman Yriarte (Funker)
Personalnummer 39 037 295


- Technical Sergeant Robert L. Salley (Techniker und Bordschütze)
Personalnummer 17 060 115


- Staff Sergeant Alvin L. Hirschi (Bordschütze - Ball Turret)
Personalnummer 37 575 349


- Staff Sergeant Jarvis D. Williams (Bordschütze - Waist Gunner)
Personalnummer 37 217 604


- Staff Sergeant Attilio Tirapelli (Heckschütze)
Personalnummer 36 830 746

 

(Quelle: Nachlass von Jarvis D. Williams, zur Verfügung gestellt von Tom Ryczek)


Die Puckett-Crew in ihrer ursprünglichen Zusammensetzung mit Flying Officer Harold H. Smith anstelle von 2nd Lieutenant George E. Reedy. In der oberen Reihe, zweiter von rechts, Staff Sergeant Jarvis D. Williams.


Für die an diesem Tag anstehende Mission war die „42-107014 FO-K“ mit 20 Sprengbomben General Purpose (GP) AN M-57 zu je 250 lbs. (112 Kilogramm) beladen (20), dazu kamen neben den neun Besatzungsmitgliedern und ihrer umfangreichen Ausrüstung, den

Bordwaffen einschließlich Munition noch rund 2.700 Gallonen Treibstoff zur Bewältigung der langen Flugstrecke.

(Quelle: US Army Air Force / National Archives via Fold3)


Das Seitenleitwerk der „42-107014 FO-K“ - im Vordergrund jedoch nicht die Puckett-Crew, sondern eine andere Crew - möglicherweise die Vorgängerbesatzung der Maschine.

 

Ausweislich der Angaben des Missing Air Crew Reports17 wurde die Maschine um 13:33 Uhr - und mithin zum Zeitpunkt des Bombenabwurfes der low-Squadron über dem Zielgebiet - zum letzten Mal von eigenen Kräften gesehen, als Verlustursache wird feindliches Flakfeuer erwähnt. Nähere Hinweise zum Verbleib der „42-107014 FO-K“ ergeben sich erst aus einer ursprünglich deutschen Auflistung von feindlichen Flugzeugabstürzen(21) wie folgt:


30 Nov 44 1530 Fortress 2107014 Wiederstein county Siegen, Lippe near
Burbach


Und tatsächlich ist am Nachmittag des 30. November 1944 eine amerikanische B-17 - mithin die Maschine der Puckett-Crew von der 379. BG - in den nördlichen Ausläufern des Westerwaldes in unmittelbarer Nähe der Gemeinde Wiederstein bei Neunkirchen zu Boden gegangen. Über die Umstände des Absturzes berichtet ein damaliger Augenzeuge (22)

wie folgt:

 

- Das Flugzeug näherte sich am Nachmittag im Gleitflug, in einer geraden Linie fliegend, der Gemeinde Wiederstein,
- es flog sehr tief über das damalige Hotel Blecher hinweg und rasierte die Spitzen der hinter dem Gebäude stehenden Fichten ab,
- an der Maschine war keine Flammen- oder Rauchbildung erkennbar.
- An einem Hang außerhalb von Wiederstein schlug der Bomber in einer Mulde neben einem Steinbruch auf der Erde auf, explodierte hierbei und ging in Flammen auf,
- lediglich das Heck des Flugzeuges war noch intakt, die Trümmer wurden später von der Wehrmacht geborgen.
- Nach Hörensagen konnte die gesamte Besatzung mit dem Fallschirm abspringen und wurde anschließend im Siegerland gefangen genommen.

 

Wiederstein auf einer Karte aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg.
Wiederstein auf einer Karte aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg.

Was genau der „42-107014 FO-K“ und ihrer Besatzung über Zeitz zugestoßen war und letztendlich zum Absturz der Maschine rund zwei Stunden später bei Wiederstein führte, geht aus persönlichen Aufzeichnungen des Bordschützen Staff Sergeant Jarvis D. Williams wie folgt hervor:


„Mission 24 … das Wetter war klar über dem Ziel. Sie trafen unsere Nr. 3 und 4 Triebwerke, während des Heimfluges verloren wir ein weiteres. Wir sprangen am 30. November 1944 um 15:30 Uhr im Raum Frankfurt, Deutschland, mit dem Fallschirm ab … ich wurde am 3. Dezember 1944 gefangen genommen …“

 

Der Weg der Puckett-Crew in die deutsche Gefangenschaft.


Im Hinblick auf den bzw. die möglichen Orte der Gefangennahme der Puckett-Crew nach erfolgtem Fallschirmabsprung aus der schwer beschädigten und beständig an Höhe verlierenden Maschine und der sicheren Landung auf deutschem Boden besteht derzeit noch kein klares und zusammenhängendes Bild. Folgende diesbezügliche Informationen konnten bis dato ermittelt werden:
- Von Seiten der Angehörigen des leider im Jahr 1979 verstorbenen Jarvis D. Williams wird bezugnehmend auf dessen Erzählungen nach seiner Rückkehr in die USA berichtet, dass die gesamte Crew den Absprung aus der Maschine überlebte, auf einem offenen Feld irgendwo zwischen Frankfurt/Main und Köln zu Boden kam, und dort schnell gefangen genommen wurde. Lediglich Staff Sergeant Williams landete auf dem Feld in der Nähe eines Waldgebietes, konnte sich zunächst dort verstecken und für drei Tage einer Gefangennahme entziehen. Hierbei berichtete er, wie er in einen ihm unbekannten Ort ging, sich dort umher bewegte, aber von niemandem angesprochen wurde, eher er den Ort wieder verließ und erneut das Waldgebiet aufsuchte. (23)


- Nach Informationen aus einem 1996 von dem damaligen Piloten, Robert D. Puckett, verfassten Brief soll dieser erwähnt haben, nach Altenkirchen gebracht worden zu sein. (23)


- Die Gefangennahme der Masse der Besatzungsmitglieder erfolgte möglicherweise südlich von Wiederstein, in der Nähe von Lippe und Burbach. (19)
- Ausweislich einer deutschen Primärquelle (24) wurde am 30. November 1944 in Elbingen - und mithin wenige Kilometer süd-westlich von Westerburg - ein amerikanischer Flieger festgenommen. (25)
Die für den am 13. Oktober 1919 geborenen Staff Sergeant Jarvis D. Williams vorliegende Kriegsgefangenenkarte des Dulag Luft (26) enthält keine genaue Angabe des Ortes seiner Gefangennahme, gibt als Datum der Gefangennahme aber den 2. Dezember 1944 an und hält die Ursache für den zugrunde liegenden und nördlich von Frankfurt/Main eingetretenen Flugzeugverlust mit der handschriftlichen Eintragung Motorschaden? fest.
Der weitere Weg von Staff Sergeant Jarvis D. Williams in deutschem Gewahrsam führte ihn schließlich aus dem Dulag Luft in das Stalag Luft I (27), das in der Stadt Barth an der Küste von Westpommern gelegen war, wo er bis Kriegsende im Frühjahr 1945 verblieb. Zumindest für die vier Offiziere unter den Besatzungsmitgliedern der „42-107014 FO-K“ ist sicher bekannt, dass diese ebenfalls nach Barth verlegt wurden, zusammen mit weiteren alliierten Fliegern waren die vier Offiziere der Puckett-Crew in Raum 2, Baracke 306 (Nord III) des Stalag Luft I untergebracht,28 ob auch die übrigen (Unteroffiziers-) Dienstgrade der Crew in Barth weilten, steht zu vermuten, ist bislang jedoch noch nicht belegbar.

 

(Quelle: Nachlass von Jarvis D. Williams, zur Verfügung gestellt von Tom Ryczek)


Die Kriegsgefangenenkarte des Dulag Luft für Staff Sergeant Jarvis D. Williams.

 

Alle Mitglieder der Puckett-Crew kehrten nach Kriegsende wohlbehalten in die USA zurück. (17,19)


Fußnoten, Erläuterungen und Quellenangaben :


(1) Roger A. Freeman: The Mighty Eight War Diary
(2) Jochen Prien, Gerhard Stemmer und Winfried Bock: Die Jagdfliegerverbände der Deutschen Luftwaffe 1934 bis 1945 - Teil 13/II - Reichsverteidigung 1944 - 6.6. bis 31.12.1944
(3) Die vier Gruppen des JG 300 waren insbesondere für den Schutz der Reichshauptstadt Berlin vorgesehen.
(4) Als Cat. E-Verluste wurden Maschinen bezeichnet, die nicht unmittelbar im Einsatz verloren gingen, die aber beispielsweise über eigenen Gebiet zu Bruch gingen oder aber so stark beschädigt auf ihre Stützpunkte zurückkehrten, dass sich eine Instandsetzung nicht mehr lohnte.
(5) Die am 26. November 1942 in Idaho / USA aufgestellte 379. BG wurde im Mai 1943 nach Großbritannien verlegt und dort dem 41. CW der 8. USAAF unterstellt. Der auf dem Flugplatz Kimbolton/Cambridgeshire stationierte Verband bestand im Wesentlichen aus der 524., 525., 526. und 527. BS und verfügte als Kennzeichen über ein

großes K in einem Dreieck auf dem Seitenleitwerk (Triangle-K). Ende November 1944 wurde die Gruppe von Colonel Lewis E. Lyle kommandiert.
(6) Zu den sechs Totalverlusten kamen bei der 379. BG noch elf Maschinen hinzu, die schwere und weitere sieben, die leichtere Schäden davontrugen, gleichwohl aber nach Großbritannien zurückkehren konnten und nicht als Cat. E-Verluste eingestuft werden mussten. Hieraus resultierte eine Zahl von 55 zunächst als vermisst geltenden Besatzungsmitgliedern (Headquarters 379th Bombardment Group - Office of the Intelligence Officer - Report on Mission of 30th November 1944 to Zeitz Oil Plant - dated 3rd December 1944 und Flash Telephone Report).
(7) Das von 1937 bis 1939 bei Tröglitz errichtete Hydrierwerk Zeitz produzierte aus einheimischen Braunkohlenschwelteeren nach dem sog. Bergius-Pier-Verfahren Treib- sowie Schmierstoffe und wies eine Kapazität von rund 300.000 Tonnen jährlich auf. Das Werk gehörte zu der Braunkohle-Benzin AG (BRABAG), bei der es sich um eine 1934 gegründete Pflichtgemeinschaft der Braunkohlenindustrie zur Kohlehydrierung handelte (Quelle: verschiedene Artikel - de.wikipedia.org).
(8) Headquarters 379th Bombardment Group - Office of the Intelligence Officer - S-2 Teletype Report Narrative - dated 30th November 1944 und Flash Telephone Report
(9) Über England: Wolken 0/10 und Sicht bei 10 Meilen (ca. 16 Kilometer)
Über dem Kontinent: Wolken 8/10 und unbegrenzte Sicht
Über dem Ziel: Wolken 0/10 und Sicht bei 15 Meilen (ca. 24 Kilometer)
(10) Headquarters 379th Bombardment Group - Office of the Intelligence Officer - Group and Squadron Leaders Narrative und Navigators Narrative - dated 30th November 1944
(11) MPI = Mean Point of Impact - übersetzt in etwa der mittlere Aufschlagpunkt - gibt den Aufschlagpunkt der mittleren Bombe eines abgeworfenen Bombenbündels an. Es war stets das Ziel der Bombenschützen, diese Bombe genau auf den ausgewählten AP = Aimpoint - übersetzt Zielpunkt - zu platzieren.
(12) Headquarters 379th Bombardment Group - Office of the Intelligence Officer - Report on Mission of 30th November 1944 to Zeitz Oil Plant - dated 3rd December 1944
(13) Der Führer der low-Squadron war am 30. November 1944 Major Theodore G. Ramsdell von der 527. BS der 379. BG.
(14) Headquarters 379th Bombardment Group - Office of the Intelligence Officer - Flak Report Zeitz - dated 30th November 1944
(15) Der von der Firma Douglas gebaute Bomber wurde am 26. Januar 1944 den amerikanischen Luftstreitkräften in Cheyenne/Wyoming übergeben und am 30. März 1944 der 527. BS der 379. BG in Kimbolton zugeteilt (Quelle: www.americanairmuseum.com/aircraft).
(16) Die Puckett-Crew kam von Savannah/USA aus Ende Juni oder Anfang Juli 1944 nach Großbritannien, wo sie der 527. BS der 379. BG zugeteilt wurde. Abweichend von der Zusammensetzung am 30. November 1944 gehörte ihr ursprünglich anstelle von 2nd Lieutenant George E. Reedy Flying Officer Harold H. Smith als Bombenschütze an. Dieser wechselte erst kurz vor dem Tag des Einsatzes gegen Zeitz in eine andere Crew und wurde durch 2nd Lieutenant Reedy ersetzt. Ihren ersten Einsatz flog die Puckett-Crew - nicht in der Lucy sondern in der Snow White - am 16. August 1944 gegen Leipzig, nachdem zuvor eine für den 15. August 1944 gegen Wiesbaden angesetzte Mission abgesagt worden war (Quellen: Briefe und persönliche Aufzeichnungen von Jarvis D. Williams, zur Verfügung gestellt von seinem Enkel Tom Ryczek).
(17) Missing Air Crew Report (MACR) 11057
(18) Battle Casualty Report 379th Bombardment Group for Aircraft No. 42-107014 dated 30th November 1944
(19) Stan D. Bishop, John A. Hey MBE, Gerrie Franken und Marco Cillessen: Losses of th US 8th and 9th Air Forces - Volume 5 - ETO Area - October 1944 - December 1944

(20) Insgesamt waren die zwölf Maschinen der low-Squadron für den Einsatz gegen Zeitz mit 238 Sprengbomben General Purpose (GP) AN M-57 zu je 250 lbs. (112 Kilogramm) und zwei Rauchbomben AN M-47 zu je 100 lbs. (45 Kilogramm) bestückt. Abweichend von den restlichen Bombern waren in der Maschine des Führers zwei Sprengbomben durch zwei Rauchbomben zur Zielmarkierung ersetzt worden. Die Zündereinstellungen der Sprengbomben sollten mit 1/10 (Nose) und 1/40 (Tail) vorgenommen werden.
(21) Auflistung Air Crashes by Date - Nov 44 (NARA M1380)
(22) Telefonat des Autors mit Herrn Walter Boller vom 6. Juni 2017
(23) Briefe und persönliche Aufzeichnungen von Jarvis D. Williams, zur Verfügung gestellt von seinem Enkel Tom Ryczek, sowie Angaben von Tom Ryczek aus diversem Schriftverkehr mit dem Autor.
(24) Übersicht über die Feindhandlungen im Oberwesterwaldkreis vom 5.9.1940 bis 23.3.1945 incl. Nachweisung über die in der Zeit von 1939 bis 1945 im Oberwesterwaldkreis abgeschossenen alliierten Flugzeuge
(25) Da ein weiterer zeitlich wie sachlich „passender“ alliierter Flugzeugabsturz für den Westerwaldkreis nicht bekannt ist, steht zu vermuten, dass es sich hierbei um ein Mitglied der Puckett-Crew handeln könnte. Dies würde aber bedeuten, dass zumindest ein Absprung wesentlich weiter südlich als bislang vermutet stattfand. Immerhin liegt Elbingen gut 28 Kilometer Luftlinie von Wiederstein entfernt.
(26) „Das Dulag Luft, Abkürzung von „Durchgangslager der Luftwaffe“, war von 1939 bis 1945 ein Verhör- und Durchgangslager für vorwiegend britische und amerikanische Kriegsgefangene der jeweiligen Luftstreitkräfte und die wichtigste Stelle zur Informationsgewinnung der Luftwaffe. Offiziell daher ab Ende 1941 dienstintern und ab 1943 ausschließlich und offiziell „Auswertestelle West“ (AWSW) genannt. Das Lager befand sich am nord-westlichen Ortsrand der Gemeinde Oberstedten (heute der größte Stadtteil von Oberursel) im Hochtaunus.“ (Quelle: Artikel Dulag Luft - de.wikipedia.org)
(27) Das im Jahr 1941 zunächst nur für gefangen genommene britische Offiziere eingerichtete Stalag Luft I nahm in den folgenden Kriegsjahren auch britische Flieger mit Unteroffiziersdienstgraden sowie ab 1943 amerikanische Flieger auf. Schätzungsweise 9.000 Angehörige der britischen und amerikanischen Luftstreitkräfte waren dort über die Zeit untergebracht. Von Oktober 1942 bis Januar 1945 war Oberst Willibald Scherer der deutsche Lagerkommandant. Am 2. Mai 1945 wurde das Lager von russischen Truppen befreit. (Quelle: Artikel Stalag Luft I - en.wikipedia.org)
(28) John Kirkham - WW2 bombardier and prisoner of war - Stalag Luft I / www.merkki.com/kirkhamjohn

 

Autor:
Oliver Greifendorf
Arenberger Straße 254D
56077 Koblenz
oliver_greifendorf@yahoo.de

 

 

 

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30-11-1944_Wiederstein_Absturz einer B-
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